29 | 03 | 2024

Gefunden in: Johann Christian Hasche, Magazin der Sächsischen Geschichte, VIII. Theil, 1791, Seite 530 ff

Die Weinlese, eine Idylle

    1777.  

Sage, was du willst, Palämon, der Herbst
ist doch keine angenehme Jahreszeit, sollte es
auch nur deswegen seyn, weil er der Vorbote des
traurigen Winters ist. Nimm den heutigen Tag
zum Beweiß. Die Natur scheint in einer har-
ten Betäubung zu liegen, aus der sie nicht erwa-
chen kann. Ein grauer Nebel umflohrt den Ho-
rizont, und raubt dem schärfsten Auge das schönste
Schauspiel. Die Luft ist rauh, dikke und fällt
unsern Nerven beschwerlich. Der schöne Som-
mer mit allen seinen Blumen ist dahin. Blei-
chende Nachtfröste verkünden den baldigen An-
zug des traurigen, einsiedlerischen Winters, unter
dessen eißernes Scepter sich alles schmiegen muß.

Der Winter kommt und mit beeißten Schwingen
heult Boreas ums schneebeladene Dach.
Der Fluss starrt, keine Vögel-Chöre singen,
Die Blume stirbt, die Bäume welken nach.
Schneewüsten sieht das Augen sich verbreiten,
Wo sonst ein Heer von bunten Blumen war.
Der Winter gleicht dem Abend unsrer Zeiten,
Er schließt betrübt das überlebte Jahr.

So sagte Erythia, als sie mit dem Palämon im
späten Herbste über die Felder gieng, die unter
einem Nebel begraben schienen. Er war nicht
ihrer Meynung, und suchte sie durch Gründe zu
widerlegen. So lautete seine Antwort:

P. Aber rechnest du denn seine Freuden für nichts?
Wer wird so parteyisch seyn, liebe Erythia!
Der Sommer hat ja auch sein Unangenehmes:
seine erstikkende Hizze, z.B. sein beschwerli-
cher Staub, seine abmattenden Schweisse, sind
dieses Dinge, die deinen Beyfall verdienen?

E. Das nicht. Aber warum verschweigst du
seine schöne Seite?

 P. Eben aus dem Grunde, aus welchem du
deine Augen vor den Wohlthaten des Herbstes
verschließest. Ist ers nicht, der die gemäßig-
sten Tage des ganzen Jahres schenkt? Der
Frühling beut nur Blumen, der Herbst aber
giebt die Früchte. Der tausenfache Segen
des Obstes ist sein Werk. Der Städter kennt
nicht einmahl alle seine Wohlthaten. Er scheut
das Bisgen rauhe Luft, das er athmet, und
hüllt sich sorgsam in seine vermauerte Stadt.
Begleite mich nur, das schönste Schauspiel
soll dich dafür belohnen.

Sie giengen. Bald aber hörten sie einen Chor
froher Sänger durch die Luft ertönen. Sie nah-
ten und vernahmen diesen Gesang:

Vater Noa, Weinerfinder,
Sieh, dich segnen seine Kinder,
Mit dem Becher in der Hand.
Freude lacht aus ihren Blikken;
Ihre Herzen schwellt Entzükken,
Wenn sie Traubenmark ausdrükken.
Er lebe, der uns Wein erfand!
Stoßt an! Vater Noa soll leben!
Er gab uns Freude, er pflanzte uns Reben!

So tönte der frohe Rundgesang der Winzer, als
an einem Oktober-Morgen Kraft seine Wein-
lese hielt. Kraft war ein Freund des Vergnü-
gens, ein ädler wohlthätiger Mann, der sein
Daseyn doppelt fühlte, wenn er Andre um sich
her froh machen konnte. Hätte Er im grauen
Alterthum gelebt, man hätte Ihn unter die Göt-
ter versetzt, hätte seinen Tag feyerlich begangen,
und Ihm aus Dankbarkeit Altäre errichtet. Er
sah das fröhliche Getümmel seiner Leute, lächelte
zufrieden, und vermehrte dadurch ihre Freude.

Jezt führte Palämon Erythien hin. Fest
und lange hieng ihr trunkenes Auge an dieser
Scene. Schön war sie, und werth der süssen
Betäubung. "Nun Erythia! bist du nun mit
dem Herbste ausgesöhnt?" so fragte der lächelnde
Palämon, der mit Fleiß diesen Vorzug des
Herbstes im Reden verschwiegen hatte, um durch
den Anblick desto rührender zu sprechen."Welch
ein Schauspiel! Sieh nur das entzükkende Bild
der Weinlese! Wie sich die schlanken Reben um
die stüzzende Pfähle schmiegen, wie eine liebende
Gattin um ihren Mann! Wie die süsse Last in
vollen strozzenden Trauben da hängt, und bläu-
licht unter dem grünen Blätterdache hervorblinkt!
Ihr Anblick haucht Freude in aller Herzen. Sieh
nur die geschäftigen Hände, wie sie unter fröli-
chem Scherze ihre Gefäße füllen, wie sie eilen,
umflattert von Schaaren schwazzender Spatze,
die ihren Tribut aus den besten Beeren pikken,
Bachus-Geschenk in Götter-Trank zu verwan-
deln, der mäßig gebraucht die Freude in unser
Herz gießt, den Schwachen Labsal, den Beküm-
merten Trost und den seufzenden Kranken Erquik-
kung einflöst. Wie schlägt Kraften das Herz!
O! der liebe Mann fühlt heute doppelte Wonne.
Sein Geburtstag, den Er heute feyert, er-
höht die Freuden der Weinlese! Sie, wie sie aus
seinen Augen blinkt, da Er das Vergnügen um
sich her verbreiten, da Er den ersten Tag eines
neuen Jahres mit Wohlthun anfangen, und so
ganz den Werth des neuen Lebens fühlen kann. Wir
wollen nicht durch ein langes Lob seine Beschei-
denheit beleidigen, wohl aber in die allgemeine
Freude einstimmen, und uns seiner fernern Ge-
wogenheit durch seinen Wunsch freundschaftlich
empfehlen:

 Blühe, ädler deutscher Mann!
Freude muß Dein Herz beglükken,
Heitre Wonne Dich entzükken,
Wie sie Bachus geben kann!

Wie Dein Berg sich iedes Jahr
Mit verjüngten Trauben schmükket,
So sey jedes Jahr beglükket
Schön wie dieser Tag uns war.

Bringt die Becher, laßt sie leeren,
Laßt aus einem Munde hören;
Lange lebe Freund Kraft!
Blühen müß Er, lange leben
Frölich, wie die Kraft der Reben,
Fliehn soll jedes Kummers Last,

Blüh, Kraft, dem Glück im Schoos,
Freu Dich dieses Doppelfestes!
Freude ist des Menschen Bestes,
Und die sey Dein ewig Loos.

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