29 | 04 | 2024

   Ich gebe hier wortgetreu die drei Sagen die Elbschlösser betreffend aus dem Buch "Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen des Dr. Johann Georg Theodor Grässe wieder.

166) Der gespenstige Winzer zu Loschwitz.

   Auf dem früheren Preißler'schen Weinberge am Dresdner Elbfußwege nach Loschwitz ging es in dem jetzt weggerissenen Gehöfte auch um. Ein alter Mann in der Tracht der Winzer von 1560, so alt war das Haus, kam oft um Mittag von der Seite wie vom Berge herab in den Hof, öffnete die auf denselben gehende Thüre zur Winzerstube, schaute hinein und verschwand dann wieder. Einer dort wohnenden Frau soll er auch in dem noch jetzt stehenden Kellerraum erschienen sein und ob er ihr gleich nichts that, erschrak sie so, daß sie die Rose bekam. Als das alte Haus weggerissen war, hat er sich nicht wieder sehen lassen.

156) Die Sage von der Mordgundbrücke.

   Auf der königl. Bibliothek zu Dresden befindet sich ein Handschrift (S. G. Nr. 138b. 4.) aus dem ersten Viertel dieses Jahrhunderts, welche über die Entstehung und Benennung des sogenannten Mordgrundes zwischen Dresden und dem Dorfe Loschwitz aus einem alten bei einem Winzer der Loschwitzer Gegend vorgefundenen, fast unlerserlichen Geschichtsbuche Folgendes berichtet. † )
   Gegen Ende des 13. Jahrhunderts, als Markgraf Friedrich der Kleine die Stadt Dresden noch sein nannte, blühten in dieser Gegend die Geschlechter von Clohmen und von Birken; sie besaßen nicht blos Ritterburgen in den nahe gelegenen gebirgischen Gegenden (z.B. die Clohmen, das von ihnen benannte Lohmen), sondern auch Häuser in der Stadt und Besitzungen auf den Bergen in der vorgenannten Flur zwischen Loschwitz und Dresden. Beide Geschlechter waren sowohl mit ihren übrigen Gütern in der Gebirgsgegend, und nur der dortige tiefe Grund trennte sie von einander, indem die von Clohmen die nach ihrem Besitzer sogenannten früher Seebe'schen jetzt Souchay'schen, und die von Birken die dermalen zu dem Baron Müller'schen Grundstück gehörigen Fluren besaßen. Der reiche Hans von Clohmen war Wittwer und besaß nur ein einziges 19jähriges Töchterlein von wunderbarer Schönheit, Elsbeth geheißen. Sein Nachbar Benno von Birken, ein schöner Mann, war eben erst aus fernen Landen zurückgekehrt, wo er sich durch seine Tapferkeit den Namen des Kühnen erworben hatte. Kaum hatte er seine schöne Nachbarin gesehen, so liebte er sie auch und hielt bei ihrem Vater um ihre Hand an, die ihm auch ohne Weiteres mit der Bedingung gewährt ward, daß sich das Fräulein vorerst ein Jahr am Hofe Friedrichs aufhalten und dort ausbilden solle. Natürlich folgte ihr ihr Bräutigam, und da derselbe an dem prunkliebenden Hofe des Fürsten fast täglich Gelegenheit fand, mit ihr zusammen zu kommen, so lernte sich das junge Paar bald so lieben, daß ihnen das Jahr zu einem Jahrzehnd ward. Indeß hatte im Jahre 1289 Friedrich der Kleine Dresden und die umliegenden Gegenden an den böhmischen König Wenzel, später sogar an Friedrich Tutta verkauft, von dem er zwar dasselbe zurückerbte (1291), sich aber doch wieder von Wenzel (1294) mit diesen Ländern belehnen ließ. Da jedoch die Herzen der Dresdner immer noch an ihrem rechtmäßigen Landesherrn hingen, so konnte Wenzel selbst noch 1299, wo es zum Kriege kam, nie recht zum wirklichen Besitz des verkauften Landes gelangen, er dachte also auf Mittel, sich die Gemüther der Mächtigen und Reichen zu gewinnen, und sendete einen gewissen Grafen Lodomar Kinsky nach Dresden, der durch Verheißung von Gütern und Ehrenstellen den Adel auf seine Seite bringen sollte. Gelang diesem dies unter andern auch bei Hans von Clohmen, so blieb der von Birken dafür mit desto größerer Treue seinem alten Herrn zugethan. Da nun aber der böhmische Graf, der noch unbeweibt war, die Hoffnung hegte, daß er als Schwiegersohn eines der mächtigsten Ritter im Sachsenland desto besser für König Wenzel wirken könne, so bat er um die Hand der schönen Elsbeth von Clohmen und erhielt sie auch sofort zugesagt, und als ihr Bräutigam ihren Vater an sein gegebenes Wort mahnte, so erklärte dieser, er halte sich desselben für entbunden, weil nur ein Freund König Wenzels seine Tochter zum Altare führen solle. Indeß fanden die Liebenden noch einmal Gelegenheit, sich zu sehen und sich ewige Treue zu schwören. Der Ritter von Birken hatte unterdeß seine Besitzung an der Elbe bezogen und schickte täglich seinen alten Diener auf Kundschaft aus, um zu erspähen, was bei seinem Nachbar vorgehe, konnte aber fast nichts erfahren. Mitten in einer stürmischen Nacht erstieg er einst von einer unerklärlichen Angst getrieben, die Höhe des Waldes und sah das Schloß seines Feindes hell erleuchtet, hörte auch Trompeten- und Paukenschall in einzelnen Absätzen erklingen. Ohne sich zu besinnen stieg er den tiefen Grund herab und erklimmte die steile Anhöhe jenseits, sowie die hohe das Clohmensche Schloß umgebende Mauer, nachdem er zuvor mit seinem Schwerte alle Hindernisse des dicken Gestrüppes beseitigt hatte. Siehe, wie er noch sinnend dastand, was er nun weiter beginnen solle, da öffnete sich ein Pförtchen und seine Elsbeth, weiß gekleidet wie ein Engel, stürzte in seine Arme. Schnell entschlossen, nahm er die holde Bürde auf seine Arme, stieg mit ihr über die Mauer und den Berg hinab, mußte aber im Grunde vor Anstrengung ermattet eine kurze Zeit rasten. Während dem erzählte ihm seine Elsbeth, wie sie ans Altar geschleppt und mit dem ungeliebten Böhmen trotz ihres laut ausgesprochenen Nein vermählt worden sey, und darauf sogleich den Entschluß gefaßt habe, bei der ersten günstigen Gelegenheit zu entfliehen. Wild tobte der Sturm, sie hatten den Weg verfehlt und Fackelschein verkündete die sie Suchenden von allen Seiten, da gaben sich beide das Versprechen, daß nur der Tod sie trennen, und Elsbeth, ehe sie sich zu dem ihr aufgedrungenen Gemahle zurückschleppen ließe, sich mit dem Dolche, den sie bei sich trug, selbst den Tod geben wolle. Da stand plötzlich Graf Lodomar vor ihnen und sprach: "wer wagt es, sich an meinem Eigenthum zu vergreifen?" Benno aber erwiderte hohnlachend: "so wenig dieses Land je das Eigenthum Deines Königs werden wird, ebensowenig wirst Du diese Jungfrau je Dein nennen!" Mit diesen Worten drang er wüthend auf den Böhmen ein, der nothgedrungen sein Schwert zog, aber nach kurzer Vertheidigung tödtlich verwundet zu Boden sank. Da rief die Jungfrau: "Heil Dir, Du hast keinen Mord begangen, sondern nur Dein Vaterland von einem fremden Wütherich befreit, laß uns aber jetzt eilen, die Reise in ein Land anzutreten, wo uns keine Verfolgung mehr drohen kann, von Deiner Hand, mein Benno, will ich sterben." Mit diesen Worten reichte Elsbeth dem Ritter den scharfen Dolch, er setzte die Spitze desselben auf die Brust des geliebten Mädchens; doch seine Hand zitterte, da erfaßte die schöne Schwärmerin mit beiden Händen krampfhaft Benno's Hand und stieß sich den Dolch tief in ihre reine Brust. Sie schwankte, doch hatte sie noch soviel Kraft, den Stahl aus der blutenden Wunde zu ziehen, und matt lächelnd reichte sie denselben ihrem Benno mit den Worten: "es hat nicht geschmerzt, hier, mein Geliebter, nimm ihn und folge mir." Ungestüm durchbohrte sich nun auch Benno und sank sterbend auf sie hin, und so hauchten sie Arm in Arm ihr Leben aus. Auf dieser Stelle nun, wo sie geendet hatten, wurden sie auf Befehl Clohmens, der jetzt seine Härte tief bereuete, beerdigt, der Leichnam Lodomars auf seine Güter nach Böhmen geführt, und von dieser Stunde an die Felsenschlucht, wo sich diese traurige Begebenheit ereignet hatte, der Mordgrund genannt. In jener alten Schrift war die Stelle, wo der Mord geschehen war, so genau angegeben, daß derjenige, welcher diese Sage abgeschrieben hatte, dieselbe leicht wiederfand, und für die Nachwelt sie durch folgende in einem Baum, der freilich jetzt wohl schwerlich aufzufinden seyn dürfte, eingeschnittene Worte, wie er sagt, bezeichnete:

Vereint laßt uns sterben, es schließt ein Grab uns ein,
Wir werden noch verbunden in bessern Welten sein.

†) Aus diesem Manuscripte scheint die Sage von Ad. v. Schaden, Katersprung von Berlin über Leipzig nach Dresden. Dessau 1821. 8. S. 14 sq. ausgezogen worden sein (s. a. Hasche, Dipl. Gesch. v. Dresden, V. b. S. 91. sq.) Mir scheint das Ganze moderne Fiction irgend eines Romanschreibers à la Spieß.

   In dem Verein für Geschichte Dresdens ist in der Januarsitzung (20. Jan. 1874) mir der Vorwurf gemacht worden, ich hätte die S a g e  v o n  d e r  b r e t e r n e n  S a l o p p e  b e i  D r e s d e n, welche Adolph von Schaden aus einem alten, angeblich verlorenen Manuskripte eines Loschwitzer Winzers in seinem jetzt selten gewordenen Buche: "Bockssprung von Dresden nach Prag, Schneeberg 1820, S. 70 - 91" mitgetheilt habe, vergessen. Der Hauptinhalt derselben ist nun aber (s. Dresd. Anz. 1874, 24. Jan. S. !4) folgender:

   594) Zur Zeit Heinrich des Erlauchten (1221 - 88) lebte im Meißnischen der Ritter Fust von Scharffenberg, ein reicher und verschwenderischer Herr, der nicht nur sein ererbtes Besitzthum, sondern auch das Vermögen seiner Gemahlin Agathe von Birkrose (?) in kurzer Zeit durchbrachte, dann auf Reisen ging, auf den Schlössern anderer Ritter sein üppiges Leben fortzusetzen. Als sich dies nicht mehr thun ließ, kehrte er nach Hause zurück, und schon im Begriff stehend, als Raubritter seiner erschöpften Casse wieder Zuschuß zu verschaffen, berief ihn ein Befehl des Markgrafen Heinrich 1278 als Beisitzer des abzuhaltenden Landesgerichts zu Dresden. Während des Aufenthaltes in hiesiger Stadt wuchsen die Schulden des Scharffenberges gewaltig und er gerieth nach Beendigung des Gerichts in die peinlichste Lage. Einer seiner Gesinnungsgenossen, an den er sich in seiner Noth gewandt hatte, gab ihm, da sein Weib Agathe schon im dritten Jahre der Ehe, in Folge fortgesetzter Quälereien gestorben war, den Rath: "Wirb um eine reiche Dirne und bezahle mit dem Brautschatze Deine Schulden", worauf der Scharffenberger erwiderte: "Ueberall schon habe ich angepocht, aber nirgends wurde aufgethan". Darauf gab ihm sein Freund zur Antwort:
   "Nun so freie um die Schmutzurschel, die ist reich und auf einen Ritter erpicht!" --- Dieses Mädchen war die Tochter des 1234 aus Baiern in Dresden eingewanderten Brauers Kalberla, der sich durch ausgezeichnetes Bier, welches er gebraut, zum reichen Manne gemacht hatte. Ursula, seine einzige Tochter, zeigte nicht blos einen häßlichen Körper, sondern auch Eigenschaften, welche jeden bessern Menschen von ihr trieben. Ganz besonders war es ihre Unreinlichkeit, die Anderen zum Ziele des Spottes diente und der reichen Brauerstochter den hier allgemein bekannten Namen "Schmutzurschel" eintrug.
   Trotz dieser schlimmen Eigenschaften machte Ursula sehr hohe Ansprüche, sie wollte nur einen Ritter heirathen. Ihr Wunsch sollte in Erfüllung gehen, denn war auch Fust von Scharffenberg zuerst vor ihrer Häßlichkeit erschrocken, so sagte er sich doch, daß Geld ihm dringend nöthig sei und man schließlich auch die größte Schönheit gewohnt werde; er warb also um die Brauerstochter und diese heirathete den Ritter. Bei Hofe und in den höheren Adelskreisen durfte allerdings die neugebackene Rittersfrau nicht erscheinen, nur der niedere Adel gestattete ihr in seinen Zirkeln Zutritt, vermochte sie aber in keiner Weise zu bessern, so daß man sie, da schon damals die Unsitte herrschte, Alles französisch (?) zu benennen, Madame Saloppe nannte, unter welchem Namen sie auch in ganz Dresden bekannt blieb. --- Bei ihrer Verheirathung hatte sie sich klugerweise zwei Drittheile ihres großen Vermögens gesichert, von welchen sie auch nichts herausgab, als des Gatten Drittel vergeudet war. Dieser Umstand veranlaßte Fust, ungeachtet der Einsprüche Ursula's, eine Scheidung von Tisch und Bett durchzusetzen. Die gekränkte Frau fand nirgends Hilfe und zerfiel ganz mit der Welt, nur noch den Gedanken lebend, den durch ihren treulosen Gatten vergeudeten Theil ihres Vermögens mit Hilfe eines Alchimisten wieder zu erlangen. Sie nahm bei einem solchen Unterricht, kaufte sich auf dem rechten Elbufer einen Weinberg (?), auf dessen Höhe sie von alten Bretern eine Hütte errichtete, da das bereits vorhandene Häuschen für ihre Zwecke zu kostbar schien. Tag und Nacht kochte Madame Saloppe, bis man sie eines Tags, nachdem sie den größten Theil ihres Vermögens zwecklos verwendet hatte, in ihrem Laboratorium vom Rauch erstickt auffand. Da Ursula's Gatte, Fust v. Scharffenberg, bereits einige Jahre vor diesem Ereignisse in tiefem Elende gestorben war, fiel der Weinberg an die bairischen Verwandten der Goldmacherin und wenn auch seit jener Zeit die Besitzer oft wechselten, so ist doch ihm und insbesondere dem darauf stehenden Hause, nach jener Madame Saloppe, der Name "die breterne Saloppe" bis auf die neueste Zeit geblieben.

   Allerdings kannte ich die Sage, ich habe sie aber absichtlich weggelassen, weil ich annahm, sie sei von Schaden nur deshalb erfunden, um der in derselben vorkommenden Familie Kalberla aus irgend einem persönlichen, jetzt nicht mehr zu ermittelnden Grunde etwas anzuhängen. Sie trägt nämlich den Beweis ihrer Unwahrscheinlichkeit und ihres modernen Ursprungs an der Stirne. Da nämlich die französischen Worte salop (Schmutzfink) und salope (Schlumpe) neuere französische, erst zu Ende des 17. Jahrhunderts entstandene Schimpfworte sind (erst aus dem englischen slop, nicht aus dem französischen sale gebildet), so konnte selbstverständlich im 13. Jahrhundert weder in Frankreich noch viel weniger in Deutschland ein Ort oder Gegenstand so benannt werden. Außerdem hat der Name selbst wohl erst im ersten Viertel dieses Jahrhunderts seine Entstehung zu suchen, denn weder Daßdorf noch Hasche in ihren topographischen Beschreibungen Dresdens führen diesen Vergnügungsort an, erst Schiffner im Supplement zu Schumanns Lex. v. Sachsen Bd IV (XVII), Art. Loschwitz S. 919 nennt ihn und sagt, der Ort habe eigentlich Schaluppe, d. h. Bretterhütte geheißen, weil er früher nur aus einem bretternen Schuppen bestand, und daraus hätte der Volksmund "Saluppe" und dann "Saloppe" verdreht, womit nun wohl allerdings allem Zweifel ein Ende gemacht ist. Aufgehört Vergnügungsort zu seyn hat die Saloppe erst im Jahre 1872. Vielleicht kommt der Name aus dem böhmischen chalupa, Bauerhütte.

Quellennachweis:
[] Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Zum ersten Male in der ursprünglichen Form aus Chroniken, mündlichen und schriftlichen Ueberlieferungen und anderen Quellen gesammelt und herausgegeben von Dr. Johann Georg Theodor Grässe, Kgl. Sächs. Hofrath, Director des K. S. Grünen Gewölbes und interim. Director der Porzellan- und Gefäßsammlung, etc. etc., Zweite verbesserte und sehr vermehrte Auflage, ..., G. Schönfeld's Verlagsbuchhandlung, Dresden 1874 GoogleBooks

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